Freitag, 21. Mai 2010

Gelesen




Eliza Naumann ist eine mittelmäßige Schülerin. 
Unscheinbar schwimmt sie im Mittelfeld, bringt mittelmäßige Noten mit nach Hause und ist mittelmäßig interessiert, so dass selbst ihr Vater Saul kaum mehr darauf hoffen möchte, dass Eliza vielleicht etwas Besonderes sein könnte. 
Sie scheint so ganz anders als ihr älterer Bruder Aaron zu sein, dem schon von Anbeginn seiner Schullaufbahn die Begabtenförderung zuteil wurde. 
Für Saul ist Eliza damit eine Enttäuschung. 
Das ändert sich, als Eliza den Buchstabierwettbewerb an ihrer Schule gewinnt und zur Regionalausscheidung fahren darf.
Als sie auch den Regionalwettbewerb für sich entscheiden kann, steigt sie in der Gunst des Vaters, sieht der Rabbi und Kabbala-Forscher in dem jungen Buchstabiertalent doch seine Hoffnungen genährt, dass er endlich eine Gemeinsamkeit gefunden hat, die er mit seiner Tochter teilen kann. 
Beide teilen schließlich ihre Buchstaben-Faszination und so vertiefen Vater und Tochter sich fortan in die Geheimnisse des Buchstabierens und rücken dabei auch den Geheimnissen der Kabbala immer näher – sehr zum Leidwesen von Aaron, der sich in der Gunst des Vaters zurückgesetzt fühlt.
Das gemeinschaftliche Gitarrengeklimper von Vater und Sohn verschwindet im Ehrgeiz der Vorbereitungen auf den Nationalen Buchstabierwettbewerb völlig aus Sauls Zeitplan und damit auch Aaron fast unmerklich aus dem Leben seines Vaters. 
Galt er sonst in der Synagoge als Vorzeige-Jude, orientiert Aaron sich fortan an anderen religiösen Weltbildern, auf der Suche nach einem tieferen Sinn für sein Leben. 
Ehe Saul überhaupt etwas von der Veränderung bemerkt, hat Aaron sich auch schon einer Sekte zugewandt.
Doch Aaron ist nicht der Einzige, der sich unmerklich aus dem Familienleben der Naumanns herauszulösen beginnt. 
Auch Sauls Ehefrau Miriam, die als Rechtsanwältin arbeitet, entgleitet immer mehr in ihr verborgenes Dasein fernab der Familie, bis sie schließlich an ihrem geheimen Doppelleben zu zerbrechen droht. 
Myla Goldberg spinnt in ihrem Debütroman "Die Buchstabenprinzessin" ein Familiendrama, welches das kaum spürbare, stetige Auseinanderbrechen familiärer Strukturen thematisiert. 
Die Naumanns sind eine Familie, in der jeder freizügig seinen eigenen Interessen nachgeht. 
Der Vater verrammelt sich stundenlang im Arbeitszimmer über seinen Schriften und will auf keinen Fall gestört werden, so dass er kaum mitbekommt, dass seine Tochter einen Buchstabierwettbewerb gewonnen hat, während die Mutter sich in ihrem Job verkriecht und selten pünktlichen zum Abendessen zu Hause ist.
In gewisser Hinsicht sind die Naumanns eine moderne Familie. 
Saul kümmert sich um Abendessen und Schulsorgen, während Miriam den Großteil des Unterhalts bestreitet. Souverän, weltgewandt und in gewisser Weise lässig wirkt das Familienleben der Naumanns.
Die Eltern gehen selbstbewusst ihre Wege, nur die Kinder hadern noch mit den Tücken von Kindheit und Pubertät.
Doch wie labil das auf den ersten Blick noch so robuste familiäre Gefüge ist, zeigt Myla Goldberg innerhalb recht weniger Romanseiten.
Elizas Triumph bei den Buchstabierwettbewerben bringt das empfindliche, eingespielte Gleichgeweicht zwischen den Familienmitgliedern aus der Balance.
Saul widmet seine volle Aufmerksamkeit nur noch seiner Tochter und die Konsequenzen sind fatal.
Goldberg zeigt, wie leicht zwischenmenschliche Beziehungen vor die Hunde gehen können, sobald sie einmal aus dem Gleichgewicht geraten sind.
Die Art, wie Goldberg dem Leser ihre familiäre Beziehungsstudie serviert, ist im Großen und Ganzen wirklich gelungen.
Sie macht die Charaktere greifbar und begreifbar.
Wie ein Puzzle fügt sich im Laufe der Zeit das Bild einer Familie zusammen, in der die Erwachsenen immer mehr mit sich selbst als mit den anderen beschäftigt sind.
Skizzenhaft entwickelt die Autorin ihre Figuren, streut Rückblenden in das Geschehen ein und springt zwischen den einzelnen Familienmitgliedern hin und her.
Die Erzählung bekommt auf die Art einen erfrischenden episodenhaften Charakter.
Verhaltensweisen und Gedanken der Protagonisten werden dabei größtenteils durchaus begreiflich.
Lediglich Miriam bleibt dem Leser irgendwie fremd.
Sie ist eine ausgesprochen sonderbare Personen und der Plot rund um ihre Geschichte wirkt etwas überzogen und unglaubwürdig.
Man wird nicht so recht warm mit ihr und auch wenn Goldberg am Ende sämtliche Facetten ihres Familiengemäldes freilegt, bleibt Miriam ein verschwommener Punkt des Bildes, der den Gesamteindruck etwas trübt.

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